“The water we drink first runs through the veins of the servers” (1)
Die Blaue Distanz sind Anna Erdmann und Franziska Goralski. Sie arbeiten seit 2016 als künstlerisches Duo zusammen. In ihrer künstlerischen Arbeit interessieren sie sich für queere Lebens- und Lernformen, lesbische Realitäten, (digitale) feministische Perspektiven, wie Wissen geteilt werden kann und was Sichtbarkeit in hierarchischen Strukturen, wie in den aktuellen politischen Verhältnissen, bedeutet.
Mathilde: Was ist die Blaue Distanz? Warum habt ihr diesen Namen für euer Künstlerinnen*kollektiv ausgewählt?
Anna: „Blaue Distanz“ bezeichnet den visuellen Punkt zwischen Meer und Himmel, der nicht ganz genau als eine Linie definiert ist, sondern der sich nur als ein Annäherungsbereich wahrnehmen lässt. Wir haben unsere Zusammenarbeit vor ca. vier Jahren begonnen und unser Ausgangspunkt für die Gründung war das Gefühl der Vereinzelung im Kulturbetrieb, da wir die Erfahrung gemacht haben, dass man im Kulturbereich oft alleine dasteht und auch einem Konkurrenzdruck ausgesetzt ist. Zentral für die Gründung waren auch persönliche Erfahrungen von Diskriminierung aufgrund der eigenen Identität, die zu diesem Zusammenschluss geführt haben. Als Frau ist es durch die Stellung in der Gesellschaft schwerer, warum es vielleicht wichtiger ist sich zusammenzutun. Ich persönlich habe oft erfahren, dass ich von außen bewertet werde und dass, anhand von Normvorstellungen, meine Kleidung oder mein Haarschnitt von Personen, die ich nicht einmal kannte auf der Straße oder in der Schule, kommentiert wurde. Diese Kommentare waren kein Ausdruck von einer Bereitschaft, um in den Dialog zu gehen oder dazu etwas zu erfahren, sondern nur ein Zeichen von Abgrenzung. Dadurch soll eine Distanz bewusst aufrecht erhalten bleiben. Es ist ein wichtiger Schritt für mich, um mich selbst zu integrieren, muss ich diese Distanz auflösen.
Mathilde: Was möchte das Kollektiv „Blaue Distanz“ bewirken, was sind eure Ziele?
Anna: Ein Hauptbereich unserer Zusammenarbeit ist die Gestaltung von Räumen und zwar Räumen für Personen, denen in der Gesellschaft kein Raum zugemessen wird oder es erschwert ist, selbst Räume zu nehmen. Die Eingrenzung dieser Personengruppe liegt nah an unserer eigenen Identität, da geht es hauptsächlich um Frauen und queere Personen. Es ist uns sehr wichtig, diese Räume gemeinsam mit anderen Personen zu gestalten. Wir wollen diese Räume nicht nur für diese Menschen gestalten, sondern wir wollen einen Raum geben, um dann dort sich ausdrücken zu können und sich austauschen zu können. Wichtig ist uns auch, dass in der Gesellschaft für Frauen und queere Personen Sichtbarkeit hergestellt wird.
Mathilde: Auf welche Weise spielt das Herstellen einer solidarischen Gemeinschaft in „Blaue Distanz“ eine Rolle?
Franziska: Ganz zentral ist Freiwilligkeit. Dass sich Personen freiwillig entschließen, zum Beispiel, zu bleiben. Das klingt so banal, aber es ist für uns ein ganz wichtiger Dreh- und Angelpunkt. Wir gehen davon aus, wenn ich mich selber frage, bin ich gerade freiwillig hier, möchte ich die nächsten zwei Stunden mit Menschen, die ich vielleicht noch nicht kenne, meine Zeit verbringen, was erarbeiten. Wenn die Frage erstmal ernst genommen wurde, glauben wir, dass es auch möglich ist, sich auf Zuhören einzulassen.
Anna: In meiner eigenen Sozialisierung habe ich solche Räume nie kennenlernen dürfen. Das gab es in den 1990er/2000er Jahren in meiner Umgebung einfach nicht, als ich früh gemerkt hab, dass ich nicht der Norm bzw. dem Großteil der Gesellschaft entspreche. Es war ein ziemlich langer Weg aus einer zum Teil selbst gewählten Isolation herauszukommen. Es ist immer noch ein Prozess in dieser Zusammenarbeit und dem Zusammentreffen mit anderen Personen, die vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben, Selbstbewusstsein zu generieren und dafür einzustehen und weiterhin die Empfindung zu gewinnen, dass es wichtig ist, diese Sichtbarkeit herzustellen.
Mathilde: Queer-Phobie geht oft Hand in Hand mit Rassismus, mit Frauenhass, mit der Verachtung von Menschen mit Behinderung, mit Islamophobie, all die verschiedenen Formen jenen Ausdruck von Hass, die weiterhin von manchen Menschen geschürt und ausgetragen wird. Solidarität wird nicht mit Worten geschmiedet. Solidarität wird meistens vor Ort, lokal geschmiedet, um das eigene Leben, den eigenen Körper, den eigenen Geist, die eigene Vorstellungskraft, den eigenen Alltag und die eigene Zukunft gemeinsam zu befreien. Glücklicherweise sehen wir weltweit auch viele Initiativen und Gruppen, die versuchen, diesen Hass anzuprangern, ihn sichtbar zu machen, um sich vielleicht auch gegen noch unbekannte Übergriffe und Repressionen zu verteidigen und diesen Missstand gemeinsam zu überwinden. Nur eine koordinierte Solidarität wird uns das weiterhin ermöglichen. „Blaue Distanz“ ist einerseits eine Gruppe, die Empowerment ermöglichen will, andererseits eine Plattform. Seht ihr euch auch als Aktivistinnen*, und wie würdet ihr eure verschiedenen Strategien beschreiben?
Anna: Ich habe gemerkt, als wir in unserer Arbeit in einen wirksameren Bereich in der Gesellschaft gehen wollten, es hilfreich war, dass es notwendig ist und hilfreich ist, sich mit bestimmten Personen und Gruppen darüber auszutauschen und Strategien kennenzulernen, wie in aktivistischen Gruppen gearbeitet wird. Das ist einfach eine Stelle, an der gesellschaftsverändernde Arbeit geleistet wird. Ein Teil unserer Kollektivität ist, dass die Methoden zusammengewürfelt werden und dabei nicht die eine gegen die andere Sphäre abgeschlossen wird.
Franziska: Solidarität bedeutet für mich sich gegenseitig den Rücken zu stärken und was das Wichtigste dabei ist, dass Ereignisse oder Gegebenheiten angegangen werden, die nicht auf der persönlichen Ebene verhandelt werden können, sondern größer sind, also strukturelle Angelegenheiten sind. Da füreinander einzustehen, für Personen einzustehen, die ähnliches erlebt haben, vielleicht sogar, dass ich, die grad Kraft hat, mich für Menschen einsetzen kann, die unter struktureller Gewalt leiden. Ein Hauptanliegen von uns ist es auch das Reflektieren, Benennen, Umdenken von Mustern anzustiften und das Überwinden von Mustern, die Kategorien prägen, die Schubladendenken fördern. Denn, was wir nicht machen wollen, ist sagen: „So das darf man nicht machen, und so ist es richtig“. Lieber wollen wir ein Angebot machen, das nicht sofort entschieden werden muss, ob es A oder B sein soll. Vielleicht ist es auch erstmal auch A UND B.
Mathilde: Ist diese aktivistische Strategie übertragbar in der Kunstwelt?
Franziska: Der Genie-Gedanke ist total zentral im Kunstbetrieb. Sowohl dass das Genie entdeckt wird, als auch dass es dann liefern muss. Oft gilt das Ziel möglichst viel Profit aus der eigenen künstlerischen Praxis zu schlagen. Die Kunstwelt ist quasi total durchströmt und durchtränkt vom kapitalistischen Denken und Wachstum. Das ist etwas mit dem wir nicht denken oder arbeiten können oder wollen. Das ist vielleicht auch unseren internen Streik dem Ganzen gegenüber. Bei der Arbeitsweise, sowie wir sie gerade verfolgen, uns auf Situationen einzulassen, unsere eigene Position zu reflektieren ist zeitaufwendig, und in dem Sinn auch nicht effizient, und auch nicht sofort gewinnorientiert. Für uns fühlt sich das manchmal an, als ob wir uns so eine Leerstelle schaffen, ob wir den Fuß nochmal in die Tür setzen, dass sie nicht sofort zufällt. Das ist eine gegenläufige Arbeitsweise, wie sonst Arbeit gedacht wird, oder wie sie funktioniert, thematisieren wir das mit. Das ist vergleichbar mit Reproduktionsarbeit. Wenn wir das alles hinter verschlossener Tür machen würden, würden wir damit weniger gut durchkommen, als wenn wir das mitthematisieren. Damit geben wir auch wieder Raum, dass sich Menschen uns anschließen können oder, dass daraus ein Dialog entstehen kann. Weil für uns auch da wieder greift, dass wir da nicht als Einzelpersonen dagegen ankämpfen können, sondern das nur gemeinsam funktioniert, weil viele andere Künstler*innen auch unter ähnlichen Situationen leiden. Diese haben einen strukturellen Ursprung und keinen persönlichen. Es liegt nicht daran, dass ich persönlich keine guten Ideen habe, sondern daran, dass gesellschaftlich kein Platz für diese Ideen oder diese Form von Kunst ist.
(1)“The water we drink first runs through the veins of the servers” // Spy on Me #2, HAU, Berlin, Dialogue Music Performance Workshop von “Blaue Distanz”, April 2020.
This interview was recorded in the framework of Mathilde ter Heijne’s artpiece Assembling Past and Present, for the exhibition Women to Go, Das Persönliche und Unpersönliche in Präsentation und Repräsentation, Grassi Museum, Leipzig. Geführt am 26.04.2019, Berlin.