Nur weil der Rauch stört
Hamado Dipama is Referent für Antidiskriminierungs- und Antirassismusarbeit der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns, er hat Sitz in der Ausländerbeirat der Stadt München und ist Sprecher von dem bayerischen Flüchtlingsrat.
Mathilde: Welche Bedeutung hat deine aktivistische Tätigkeit für dein Leben?
Hamado: Wir haben uns damals als Student*innen organisiert, um gegen die Diktatur in Burkina Faso zu protestieren. Wir konnten nicht mehr nach Hause, weil wir gesucht wurden. Die führenden Köpfe der Bewegung wurden bedroht und terrorisiert. Viele Freund*innen sind damals verschwunden oder wurden ermordet. Es war eine schwierige Zeit. Meine persönliche Situation wurde so prekär, dass ich gedacht habe, ich muss außerhalb des Landes, Burkina Faso, weitermachen. Das Ziel war noch nicht Europa, sondern ich musste erstmal weg. Ich war ein privilegierter Flüchtling, weil ich in Mali Kontakte hatte, während andere Geflüchtete in der Wüste leiden mussten. Auf diese Weise, mit Hilfe der Kontakte in Mali, konnte ich einen Flug nach Deutschland nehmen. Ich habe dann 6 Jahren in einem Flüchtlingsheim gewohnt und nach neun Jahre war ich ‚geduldet‘. Duldung ist schrecklich, denn es ist ein diskriminierender Status. Es ist ein Aufenthalt aber gleichzeitig kein Aufenthalt. Mit diesem Status haben die Behörden alle Daten und du hast Papiere, aber bei Kontrollen der Polizei heißt es trotzdem, dass du illegal bist.
Als ich damals in einem Lager in einer verdammten Nichts-Zu-Tun-Situation gelebt habe, war ich tagtäglich mit Menschen zusammen, die die gleiche Erfahrung wie ich selbst gemacht haben und die, genau wie ich, mit der Nichts-Zu-Tun-Situation dasaßen. Denn, was kannst du tun? Schlafen und Fernsehgucken. Und beim Fernsehschauen sahen wir oft, wie viele von unseren Schwestern und Brüdern in Massen im Meer blieben und ertranken. Ich hatte in der Zeit viele schlaflose Nächte. Ich habe mich gefragt, wieso es dazu kommen musste. Ich komme von einem Kontinent, der alles hat – alle Reichtümer der Welt, um ein bequemes Leben zu führen.
Mathilde: Und wie ging es dann weiter? Warum hast du es auch in Deutschland für nötig gehalten, dich gegen Ungerechtigkeiten zu engagieren?
Hamado: Ich habe hier den Arbeitskreis “Panafrikanismus” gegründet. Der AK setzt sich als Interessensvertretung für Menschen afrikanischer Herkunft ein. Panafrikanismus ist eine alte Bewegung der Afrikanischen Diaspora. Die Bewegung hat sich von einer Anti-Sklaverei-Bewegung zu einer antikolonialen Bewegung hin zu einer Antirassismusbewegung, die für Völkerverständigung eintritt, gewandelt. Diese Linie wollte ich verfolgen. Jede Generation hat eine andere Mission. Ich muss die Arbeit von der älteren Generation übernehmen, diesen Weg fortführen, um das Ziel meiner Generation zu erreichen.
Wir haben in unserer täglichen Arbeit Menschen, die von institutionellem Rassismus betroffen sind, geholfen. Einige von uns sind durch Neonazis ermordet worden. Deshalb müssen wir aufstehen. Natürlich tun wir das gewaltfrei, aber es ist wichtig aufzuzeigen, dass wir da sind und dass wir zusammenhalten können. Wichtig ist auch, Solidarität einzufordern, von denen, die nicht betroffen sind. Ich habe mich nicht als Opfer dargestellt und mich als Akteur gesehen. Ich wollte meine Erfahrungen nützen, um anderen Geflüchteten, die noch mehr Hilfe brauchen als ich oder die neu gekommen sind, zu helfen. Und deswegen war ich schon 2004 bei der „Karawane für die Rechte der Geflüchteten“ engagiert und das hat dazu geführt, dass ich 2007 Sprecher des Bayrischen Flüchtlingsrats wurde und bis heute bin. Damals gab es keine Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für Menschen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind. Das Netzwerk “Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern”, das ich gegründet habe, hat zum Ziel, dass sich politisch unabhängige Beratungsstellen gründen und aufbauen – auf Landesebene, aber auch ortsnah in den Kommunen und Landkreisen.
Mathilde: Hat sich in den Jahren, in denen du in Deutschland gelebt hast, der Umgang mit Rassismus verbessert?
Hamado: Letzte Woche bin ich aus meinem Büro gekommen, und da haben vier Typen auf dem Gehweg in Nürnberg geparkt. Einer hat laut geschrien, mich mit dem ‚N-Wort‘ beschimpft, als ich vorbeikam, und einer hat auf mich gespuckt. Ich bin stehen geblieben, und habe ruhig gefragt: „Was ist los?“. Der Fahrer wollte auf mich losgehen, aber sein Kumpel hat ihn glücklicherweise festgehalten. Dann sind die vier in eine Bar in der Nähe gegangen. Ich habe die Polizei angerufen. Sie sind auch direkt gekommen und haben den Mann mit aufs Präsidium genommen. Auch in der U-Bahn Zug suchen Leuten oft demonstrativ einen anderen Platz, wenn ich mich neben sie setze. Rassismus ist mit Macht verbunden. Menschen werden kategorisiert durch das Rassenkonzept . Aufgrund ihrer Hautfarbe werden sie eingeordnet und angebliche Eigenschaften werden dazu gedeutet. Es gibt Zuschreibungen für die Roten, für die Gelben, die Schwarzen und auch die Weißen und damit verbunden wird ein Wertesystem etabliert. Wenn wir es schaffen, diese Denkweisen aus unseren Köpfen rauszubekommen, dann finden wir vielleicht einen gemeinsamen Nenner für eine Weltgemeinschaft. Nicht die verlogene Globalisierung, die es jetzt gibt. Diese Globalisierung hat Gewinner und Verlierer. Diese Ungerechtigkeit macht, dass wir keine Gemeinsamkeiten finden. Menschen sollten nicht nur versuchen Antirassisten zu sein, sondern sollten gleichzeitig auch die eigenen Privilegien in Frage stellen. Es ist wichtig zu wissen, dass du selbst nichts für deine Privilegien kannst, aber dass du profitierst – wenn du nichts tust – vom rassistischen System. Wenn du das erkennst, ist das schon ein Schritt nach vorne.
Ich denke, wir müssen hin zu einer Solidargemeinschaft – zu einer Solidaritätsbewegung. Es ist falsch, um als sozusagen nicht Betroffener, als Weißer, für den anderen zu machen und zu sprechen und zu tun. Da rede ich aus Erfahrung. Wir, Menschen mit afrikanischer Herkunft, sind sowas gewöhnt und haben es satt. Wir haben es satt. Man hat über uns geschrieben, man hat unsere Geschichte geschrieben. Man hat uns nicht unsere eigene Geschichte schreiben lassen. Man redet für uns: Wo sind wir? Lasst uns selber reden, dann können wir gemeinsam die Probleme angehen.
Es gibt so viele „Afrika-Expert*innen“ in Europa. Wir haben in Afrika keine „Europa-Expert*innen“. Ich zum Beispiel, wohne hier schon ziemlich lange in München, aber bin ich damit ein „München-Experte“? Es gibt Leuten, die mehrere Male irgendwo in Afrika waren, und meinen Expert*innen zu sein. Afrika ist groß, es hat 55 Ländern. Viele sogenannte Expert*innen kennen nicht mal die Hälfte der Länder von Afrika. In Burkina Faso gibt es schon über 60 Sprachen und Ethnien. So ist es in vielen Afrikanischen Ländern. Das mit den „Afrika-Expert*innen“ funktioniert nur, weil in der Europäische Union Afrika als ein kleiner Busch gesehen wird. Schon Sudan und Kongo zusammen sind so groß wie Gesamteuropa. Sudan ist schon sieben oder acht Mal so groß wie Deutschland.
Mathilde: Wie baut man Solidarität in einem Kontext von Neoliberalismus und Hyperindividualismus auf? Die verschiedenen, trennenden Elemente in Bezug auf Rasse, Klasse, Nationalität, Sexualität, Fähigkeiten, haben ihre eigene spezifische Art von Auswirkungen innerhalb einer Kultur des Neoliberalismus und beeinflussen, wie Menschen sich selbst und die Andere sehen. Es scheint mir, dass es viele Vorurteile und Missverständnisse zwischen Menschen gibt und auch Annahmen aufgrund von Generalisierungen. Wie kommen wir dazu, dass Menschen sich gegenseitig, unabhängig ihres sozialen Status, auf Augenhöhe austauschen? Ich denke, es ist wichtig, dass die verschiedensten Menschen auch miteinander in Berührung kommen um einander zu verstehen. .
Hamado: Die Unterdrücker, die uns in Afrika unterdrücken, sind die gleichen, die auch die Menschen in Europa unterdrücken. Wir haben eigentlich den gleichen Feind und einen gemeinsamen Kampf. Viele kapieren das aber nicht, dass die Unterdrückungsmechanismen, die in anderen Ländern laufen, auch hier ausgeübt werden – in einer ganz anderen Art und Weise.
Mathilde: Wo ist deiner Meinung nach, außer Beratungs- und Unterstützungstellen für Betroffene, im Moment noch dringender Handlungsbedarf in Deutschland?
Hamado: Die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Neonazis läuft hier in Deutschland falsch, weil die Ursache unter den Teppich gekehrt wird. Ich mache immer ein bildliches Beispiel: Die Bekämpfung von Rechtsextremismus in Deutschland wird wie ein Feuer behandelt. Natürlich, wenn ein Feuer brennt, gibt es Rauch. Der Rauch stört und man versucht den Rauch wegzukriegen, man lässt aber das Feuer weiter brennen.
Natürlich kannst du schon zu einem gewissen Zeitpunkt atmen, weil du gerade den Rauch weggekriegt hast. Aber solange das Feuer weiter brennt, wird der Rauch weiterhin kommen. Anstatt den Rauch immer weiter wegzukriegen, müsste man aber das Feuer löschen. Nur wenn das Feuer gelöscht wird, wird der Rauch dauerhaft wegbleiben.
(1) Burkina Faso bedeutet übersetzt Land der aufrichtigen Menschen. Die Unabhängigkeit von der französischen Kolonialregierung erlangte Burkina Faso am 5. August 1960. Durch einen Putsch gegen Thomas Sankara kam Blaise Compaoré an die Macht und war von 1987 bis 2014 Präsident von Burkina Faso. Compaoré ließ sich von 1991 bis 2014 vier Mal bei Wahlen im Amt bestätigen, musste aber im Zuge einer umstrittenen Verfassungsänderung abdanken. Derzeit ist ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen, um ihn wegen seiner Unrechtstaten vor ein Militärgericht in Burkina Faso zu stellen. Der ehemalige Weggefährte von Blaise Compaoré Roch Marc Kaboré ist seit 2015 Präsident des Landes.
(2) Burkina Faso mit seinen etwa 17 Millionen Einwohnern ist eines der ärmsten Länder der Welt, obwohl es als viertgrößter Goldproduzent in Afrika gilt. Firmen wie TrueGold, Iamgold oder Randgold Resources sind aktiv.
(3) Der Begriff Rasse wird hier lediglich als Analysekategorie verwendet. Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, werden zurückgewiesen. Um dem Widerspruch im Text Ausdruck zu verleihen, wird der Begriff kursiv gesetzt.
Diese Konversation fand im Rahmen des künstlerischen Projektes Assembling Past and Present, für die Ausstellung Women to Go, Das Persönliche und Unpersönliche in Präsentation und Repräsentation, Grassi Museum, Leipzig, statt. Geführt am 26.04.2019, Berlin.